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Gastrointestinale Manifestationen der Borreliose und zu beachtende Co-Infektionen –
eine Literaturübersicht.

Referat, gehalten anlässlich der Herbsttagung der Borreliose-Gesellschaft 2005 von
Dr. Wolfgang Klemann

In meinem heutigen Referat geht es einmal mehr um die „vielen Gesichter“ der Borreliose (B);

besprechen möchte ich heute einen oft vernachlässigten Teilaspekt, nämlich die „gastrointestinale Manifestationen der Borreliose“ und neuere Veröffentlichungen zu diesem Thema, wobei Co-Infektionen mit gastrointestinaler Manifestation häufig eine wichtige Rolle spielen.

Von Steere et al (1) wurde bereits 1983 über gastrointestinale Symptome bei Borreliose berichtet (in dieser Arbeit insbesondere auch Hinweis auf Erhöhung der lebertypischen Enzyme bei B).
Inzwischen haben wir aber alle gelernt, dass Zecken nicht nur Borrelien, sondern eine ganze Reihe weiterer Erreger übertragen können.

Eine Übersicht dieser Erreger findet sich bei Zaidi und Singer (2).

Erreger im einzelnen:

  • Borrelia burgdorferi
  • Ehrlichia chaffeensis und Ehrlichia phagocytophilia
  • Rickettsia rickettsii (Rocky Mountain spotted fever), europäische Pendants: Rickettsia conori, Erreger des Mitelmeerfleckfiebers (Überträger: „Braune Zecke“), aber auch
    Rickettsia prowazekii, Erreger des Flecktyphus (Überträger: Kleiderlaus), Literatur dazu s. auch bei (3)
  • Francisella tularensis, Erreger der Tularämie (Hasenpest), Literatur dazu s. auch bei (3)
  • Colorado-Zeckenfieber, eine hochfieberhafte Erkrankung, verursacht durch ein „Colti“-Virus ; Dem hier aufgeführten Colorado-Zeckenfieber entspricht i. Europa das Eyach- Virus, was wohl auch in die Gruppe der Reo-Viren gehört. Klinischer Verlauf ähnlich wie die FSME mit zweigipfliger Fieberperiode. Literatur dazu s. auch bei (3)
  • Zecken-Rückfallfieber, verursacht durch Borrelien (B.) der Gattung B. turricatae, B. hermsii u. B. parkeri, Überträger: Weichzecken der Gattung „Ornithodorus“, Vorkommen weltweit. Bereits 1905 konnten durch Dutton u. Todd Spirochäten als verantwortliche Erreger in Zecken nachgewiesen werden, wobei es sich um Borrelien handelte; Rückfall- Fieber –Borrelien unterscheiden sich eigentlich wenig von den Erregern d. Lyme-Borreliose, machen aber heftige Fieberschübe meist im 7-Tage-Rhythmus. Weitere Bezeichnungen:
    Borrelia hispanica, crocidurae , microti etc., je nach geographischem Vorkommen; Literatur dazu s. auch bei (3)
  • Q-Fieber, verursacht durch Coxiella burnetti, ein obligat intrazellulärer Erreger, der zu den Rickettsien gehört; der Erreger wird durch Zecken der Gattung Dermacentor auf Haustiere –Schafe, Ziegen, Rinder- übertragen, Übertragung auf den Menschen oft sekundär durch Aerosole aber auch durch Genuss von Roh-Milch oder frischem Ziegen-Käse, was zu Hepatitis führen kann (4)
  • Babesiose; Erreger : Babesia microti (USA), Babesia divergens(Europa), u.a.; Babesien gehören wie die Erreger der Malaria zu den Protozoen und finden sich einzellig in Erythrocyten, können deshalb auch im Blutausstrich nachgewiesen werden.

In einer in (2) enthaltenen tabellarischen Darstellung kann man leicht erkennen, dass nicht nur Borrelien Magen–Darm-Symptome verursachen können, sondern alle aufgeführten zeckenübertragenen Erreger, wobei die klinischen Symptome sich sehr ähnlich oder auchüberlappend darstellen.

Symptome im einzelnen:

Gewichtsabnahme, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerz, Durchfall, Leber- u. Milzvergrösserung, Gelbsucht (erhöhtes Bilirubin), Erhöhung lebertypischer Enzyme.

Bezüglich der Häufigkeit der einzelnen Symptome bei den einzelnen Erkrankungen darf ich auf Tabelle 1 in (2) verweisen.

Erläuterungen:

Ehrlichiose (E): – klinische Fälle wurden in Europa seither nur ganz vereinzelt berichtet;
Ehrlichien, die eigentlichen Krankheitserreger, sind mit Rickettsien verwandt; man unterscheidet beim Menschen eine granulöcytäre und eine moncytäre Form d. E.; neben Fieber, Kopfschmerz u. Muskelschmerz sind Transaminasenerhöhungen sehr charakteristisch, daneben Leukopenie u.Thrombocytopenie.

Tularämie (T) heisst auf deutsch auch „Hasenpest“, Erreger: Francisella tularensis;
Hauptreservoir sind Wildhasen und andere Nager; es gibt mehrere Übertragungswege:

  • 1. unmittelbarer Kontakt mit Blut infizierter Tiere,
  • 2. Zeckenstiche (durch Zecken der Gattung Dermacentor u. Ixodes);
  • 3. Inhalation infektiöser Aerosole : verendete Nager befanden sich im Heu, beim Verladen Inhalation von hochinfektiösem Aerosol , was in aller Regel zu einer pneumonischen Verlaufsform d. T. führt; Lit s. a. bei (3).

Der Erreger des Q-Fiebers ist Coxiella burnetti; Diagnose-Sicherung ist in aller Regel serologisch möglich; die akute Form verläuft meist als hochfieberhaftes Krankheitsbild mit Kopf- u. Gliederschmerz, gelegentlich als atyp. Pneumonie, als Komplikation kann eine granulomatöse Hepatitis auftreten, Lit. s. auch bei (4) u.(3)

Alle genannten Erreger können also durch Zecken übertragen werden und können gastroitestinale Symptome verursachen. Je nach klinischem Bild sollten o.g. Infektionen differentialdiagnostisch mit in Erwägung gezogen werden.

Doch nun zum eigentlichen Thema:

Gleichzeitige gastrointestinale Infektionen verschiedener Erreger einschließlich Borreliose.

Bereits 1996 veröffentlichten Fried, Duray u. Pietrucha einen wissenschaftlichen Artikel über krankhafte Veränderungen des Magen-Darmtraktes bei Kindern, welche an einer Borreliose litten(5).

  • In dieser Studie wurden 10 Kinder zwischen 8 und 19 Jahre mit Borreliose und chronischen gastrointestinalen Symptomen untersucht.
  • Feingeweblich zeigten sich Entzündungen des Magens, Duodenums aber auch des Colons
  • Histologisch gelang der Nachweis von Spirochäten in 5 der 10 Fälle, in späteren Arbeiten konnten diese als Borrelia burgdorferi identifiziert werden.

Weitere wissenschaftliche Publikationen derselben Autorengruppe zum selben Thema folgten 1999 u. 2002. (6) u. (7)

In 2002 wurde ebenfalls von Fried u. Kollegen eine Arbeit veröffentlicht, worin Bartonella henselae assoziiert wurde mit gastrointestinalen Symptomen wie Sodbrennen, Bauchschmerz, mesenterialer Lymphadenitis, Gastritis und Duodenitis, aber auch Hautrötungen(8).
Bartonella henselae ist ansonsten als Erreger der Katzenkratzkrankheit bekannt.

Die aktuellste Arbeit zu diesem Thema erschien im Nov. 2004 (9), veröffentlicht von Fried, Adelson u. Eli Mordechai (einem Mikrobiologen u. Molekulargenetiker). Darin wird über dasVorkommen und die Häufigkeit von vier in diesem Zusammenhang untersuchten Erregern berichtet nämlich:

  • Helicobakter pylorii,
  • Borrelia burgdorferi
  • Mykoplasma fermentans und
  • Bartonella henselae

Untersucht wurden 81 Patienten im Alter von 8-21 Jahren. Sie waren von Ihren behandelnden Ärzten bzw. Kinderärzten zur stationären Abklärung eingewiesen worden. Das Beschwerdespektrum bzw. Diagnosespektrum bei Einweisung reichte von chronischem Bauchschmerz, Blut im Stuhl, Gastroösophagealem Reflux mit Sodbrennen, Cöliakie über Morbus Crohn bis zur Gedeihstörung bzw. Gewichtsabnahme.
Alle Patienten wurden klinisch und laborchemisch untersucht einschließlich Bestimmung von Antikörpern gegen genannte Erreger. Sie wurden auch entweder ösophagogastroduodenoskopiert oder kolonoskopiert, aus daraus gewonnenen Schleimhautbiopsien wurden PCR-Tests auf o.g. Erreger durchgeführt, lediglich der Nachweis von Helicobacter erfolgte lichtmikroskopisch aus Biopsien des oberen Magen-Darm-Traktes.
Bei der DNA-Analyse für Borrelia-burgdorferi wurden Primer speziell für das OSP-A und chromosomale LY1-Gen verwendet.
Zur Bestimmung von Bartonella und Mykoplasma fermentans wurden ribosomale RNA-Gene untersucht.
Bei Verdacht auf Gallenblasen- oder Gallengangs- Beteiligung wurden ergänzend auch sonographische Untersuchungen des Abdomens durchgeführt.
Bei Verdacht auf Apendizitis oder mesenteriale Lymphadenitis führte man computertomographische Untersuchungen des Abdomens durch, sowie Stuhluntersuchungen auf ocultes Blut, Chlostridium difficile-Toxine, Salmonella, Shigella, Yersinia,
Campylobakter, E.Coli, Wurmeier und Elisa-Antigen-Tests gegen Lamblien.
Schleimhautbiopsien wurden aus entzündlich veränderten Schleimhautarealen entnommen, entweder bei der Ösophago-gastro-duodenoskopie oder Colonoskopie.

Ergebnisse:

  • Bei 30 der 81 Patienten (entsprechend 37%) fanden sich PCR-positive Befunde für eine einzelne Infektion.
  • 19 von 81 (24%) und bei 6 von 81 (8%) hatten PCR-Biopsiepositivität für zwei oder drei gastrointestinale Infektionen.
  • Bei den 30 Patienten mit lediglich einer einzelnen Infektion war Bartonella henselae in zwölf Fällen am häufigsten vertreten, gefolgt von
  • Helikobakter-pylorii in 9 Fällen, gefolgt von
  • Mykoplasma-fermentans in 6 Fällen und erst an vierter Stelle
  • Borrelia-burgdorferi in lediglich 3 Fällen.
  • Von den 19 Co-Infektionen fanden sich Bartonella und Mykoplasma-fermentans in 10 Fällen,
  • Bartonella und Borellia-burgdorferi in 6 und
  • Borellia-burgdorferi und Mykoplasma-fermentans wurden in 2 Fällen gleichzeitig gefunden und waren jeweils assoziiert mit umschriebenen entzündlichen Schleimhautveränderungen.
  • In den Magen-Darm-Biopsien mit Dreifachentzündungen wurden in 4 Fällen gleichzeitig Bartonella, Helicobakter und Mykoplasma-fermentans detektiert, während Bartonellahenselae, Mykoplasma-fermentens und Borrelia-burgdorferi gleichzeitig in 2 Fällen detektiert wurden.
  • In der Zusammenschau hatten von den 81 untersuchten Patienten 35 eine Bartonellahenselae- Infektion, 24 hatten eine Mykoplasma-fermentans-Infektion, 14 hatten eine Helikobakter-pylorii-Infektion und insgesamt 13 Patienten hatten eine Borrelia-burgdorferi- Infektion entweder einfach, oder als Mehrfachinfektion wie beschrieben.
  • Bei 33 % der untersuchten Patienten liess sich keine infektiöse Krankheitsursache nachweisen, Bei den Stuhlanalysen konnten keine weiteren Infektionen detektiert werden.
    In der ergänzenden Abdomensonographie fanden sich weder Gallensteine noch Hinweise auf Pankreatitis, noch auf Erkrankungen der galleabführenden Wege.


Auf Grund dieser kleinen Studie erweist sich Bartonella henselae als das am häufigsten krankmachende Agens im untersuchten Patientengut.

Bei Pat. mit chronischen Magen-Darm- und evtl. multisystemischen Beschwerden ist deshalb an das Vorkommen genannter Erreger zu denken.

Bei der Abklärung von chronischen Magen-Darm–Beschwerden sind endoskopische Untersuchungen mit Biopsieentnahme und daraus DNA-Analysen auf die genannten Erreger (mittels PCR-Methode) zur Diagnosesicherung empfehlenswert.

Dies gilt insbesondere, wenn zusätzlich neurologische Symptome oder Arthralgien vorliegen, oder die Standarddiagnostik nicht zu einem Ergebnis geführt hat.

Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte berücksichtigt werden, dass die PCR-Methode nicht hundertprozentig sensitiv ist; Negativ-Ergebnisse dürfen deshalb nicht benutzt werden, um eine klinisch- und womöglich serologisch- oder auch anamnestisch- vermutete Diagnose auszuschliessen.

Um das Thema abzurunden, und quasi denjenigen Patienten gerecht zu werden, die gleichzeitig Gelenkschmerzen beklagen, möchte ich auf den „Forschungsbericht 2001“ der Abteilung Rheumatologie der medizinischen Hochschule Hannover hinweisen (Direktor: Prof. Henning Zeidler) (10).

Hier wurde eine besondere Patientengruppe, nämlich Patienten mit sogenannter „früher undifferenzierter Oligoarthritis“, ebenfalls mit Hilfe der PCR-Methode auf

  • Chlamydia trachomatis - DNA und
  • Borrelia burgdorferi – DNA untersucht.

zur Erläuterung: nur 40 – 50% der Patienten, die eine Oligoarthritis (Entzündung von 1-4 Gelenken) entwickeln, können im ersten Krankheitsjahr einer definierten rheumatischen Erkrankung zugeordnet werden. Die übrigen werden als sogenannte „undifferenzierte Arthritis“ klassifiziert. In dieser Patientengruppe finden sich viele Merkmale, die an infektreaktive Arthritiden und Spondarthritiden erinnern, wie z. B. eine Häufung des Erbmerkmals HL A B 27, ein bevorzugter Befall der unteren Extremität oder eine Beteiligung des Achsenskeletts.

In der Zeit von 1994 – 97 wurden 52 Patienten rekrutiert. Den Einschlusskriterien entsprechend war bei allen Patienten die Borreliose-Serologie und die ebenfalls bestimmte Chlamydien-DNA in Morgenurin negativ, da die Erkrankung sonst bereits als Lyme-Arthritis bzw. Chlamydien -induzierte -Arthritis klassifiziert worden wäre.

  • Fünfzehn der 52 Patienten hatten in der Synovialflüssigkeit ein positives PCR-Ergebnis, bei
    9 Patienten (17%) konnte Chlamydia trachomatis-DNA, bei 6 Patienten (12%) Borrelia
    burgdorferi-DNA nachgewiesen werden.
  • In einer Kontrollgruppe von 31 Patienten mit chronischer Polyarthritis fand sich dagegen kein intraartikulärer DNA-Nachweis, während der PCR-Nachweis in Kontrollgruppen mit gesicherter Chlamydien-induzierter-Arthritis in 50%, bei Lyme-Arthritis in 69% gelang.

Diese Ergebnisse belegen, dass bei ca. 1/3 der Patienten mit undifferenzierter Arthritis mittels moderner molekularer Methoden eine auslösende Infektion mit entweder Chlamydia trachomatis oder Borrelia burgdorferi sich nachweisen lässt.

Sie belegen auch die Existenz seronegativer Borreliose-Fälle.

Literatur:

(1): Steere AC, Bartenhagen NH, Craft JE, et al. The early clinical manifestations of Lyme disease. Ann Intern Med 1983; 99: 76-82

(2) :) Zaidi SA, Singer C. Gastrointestinal and hepatic manifestations of tickborne diseases in the United States.
Clin Infect Dis. 2002 May 1;34(9):1206-12. Epub 2002 Apr 2. Review.

(3) Kimmig P., Hassler D., Braun R.: Zecken, Kleiner Stich mit bösen Folgen, Verlag Ehrenwirth Ratgeber, 2000 ISBN 3-431-04018-7

(4) Dupont HT, Raoult D Brouqui P et al: Epidemiologic features and clinical presentations of acute Q fever in hositalized patients: 323 French cases, Am J Med 1992; 93: 427-34.

(5) Fried MD. Duray P, Pietrucha D. Gastrointestinal Pathology in children with Lyme Disease. J Spirochetal and Tick-Borne Diseases, 1996; 3: 101-104.

(6) Fried MD, Abel M, Pietrucha D, Yen-Hong K, Ball A. The spectrum of gastrointestinal manifestations in children aund adolescents with Lyme disease. J Spirochetal and Tick-Borne Diseases, 1999; 6: 89-93

(7) Martin D. Fried, MD; Dorothy Pietrucha, MD; Gaye Madigan, RN; and Aswine Bal, MD. Borrelia burgdorferi Persists in the Gastrointestinal tract of Children and Adolescents with Lyme Disease. Journal of Spirochetal and Tick- Borne Diseases. Vol. 9, No. 1, 2002. pp. 11-15.

(8) Fried MD, Schairer J, Madigan G, Ball A. Bartonella henselae is associated with heartburn, abdominal pain, skin rash, mesenteric adenitis, gastritis and duodenitis. J Pediatr. Gastroenterol. Nutr. 2002; 35:3 Abstract 158

(9) Fried MD, Adelson ME, Mordechai E: Simultaneous Gastrointestinal Infections in Children and Adolescnts, Practical Gastroenterology, November 2004 87-80.

(10) „Forschungsbericht 2001“ der Abteilung Rheumatologie der medizinischen Hochschule Hannover hinweisen (Direktor: Prof. Henning Zeidler)