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Publizierte Leitlinien zur Therapie der Lyme-Borreliose
Eine Literaturübersicht

Von Dr. Wolfgang Klemann, Internist, Pforzheim

Geschichtliches

1. Eine erste Leitlinie zur Behandlung der Lyme- Borreliose wurde bereits 1991 von Rahn und Malawista in den Annals of Internal Medicine veröffentlicht (1).
Es handelt sich um einen Versuch, Ordnung in die schon damals widersprüchliche Datenlage zu bringen. Schon 1991 wurde die Erkrankung vermehrt diagnostiziert.
Die Therapie basierte damals überwiegend auf Empirie.

2. eine weitere Leitlinie wurde 1997 von Burrascano in Conn’s Current Therapy (2) veröffentlicht.
Hier wird erstmals auf die Problematik der chronischen und therapierefraktären Borreliose eingegangen.

Danach wurden zwei weitere Leitlinien publiziert, die beide den Anspruch erheben, evidencebasiert, (also auf gesicherten Erkenntnissen beruhend) zu sein.

Zum einen sind dies die „Practice Guidelines for the treatment of lyme disease“ der Infectious Diseases Society of America (IDSA) in 2001 (3).

Zum anderen sind dies die „Evidence- based guidelines for the management of Lyme disease“ der International Lyme and Associated Diseases Society (ILADS), veröffentlicht im Frühjahr 2004 (4).

Warum gibt es nun zwei konkurrierende Leitlinien?

Dies ist am besten aus der Medizin-Historie zu verstehen:

  • 1. Die IDSA –Guidelines, welche zuerst veröffentlicht wurden, empfahlen im Prinzip die einmalige Kurzzeittherapie für Patienten im Frühstadium der Erkrankung.
  • 2. Die meisten Borreliose-Betroffenen können durch einmalige, 2-4 wöchige Antibiose geheilt werden, insbesondere bei frühzeitiger Diagnose und Indikationsstellung für eine antibiotische Therapie.
  • 3. Besonderes Augenmerk ist bei den IDSA-Guidelines auf die letztlich willkürlich ausgewählten, „major Symptoms“ of Lyme zu richten, welche „meningitis, meningoencephalitis, carditis, or recurrent attacks of arthritis (> 2 weeks)“ beinhalten.
  • 4. Behandlungserfolg ist bei IDSA definiert als Verschwinden der “Major Symptoms”.
  • 5. Ein gewisser, aber nicht geringer Anteil derart behandelter Patienten wird aber durch diese „Standardtherapie“ nicht symptomfrei, sondern beklagt anhaltende „ minor Symptoms“ wie Gelenkschmerz, chronische Müdigkeit, Muskelschmerz, encephalopatische Symptome, generalisiertes Schmerzsyndrom usw.
  • 6. Dieser Patientengruppe werden die IDSA- Guidelines letztlich nicht gerecht; diese Patientengruppe wird darin eigentlich gar nicht berücksichtigt.
  • 7. Die Forderung vieler praktischer Ärzte nach Behandlungsrichtlinien, welche diese Patientengruppe berücksichtigt, führte zur Entwicklung und Veröffentlichung der ILADSGuidelines im Frühjahr 2004.
  • 8. ILADS betrachtet diese Veröffentlichung nicht als abgeschlossenen Vorgang, sondern als sich kontinuierlich entwickelnden Prozess (basierend auf Studien mit hohem Evidenzgrad), um die Behandlungsmöglichkeiten der chronischen, wiederkehrenden oder auf den ersten Blick therapieresistent erscheinenden Borreliose zu verbessern.
  • 9. In gewisser Weise wurde dadurch eine (weitere) Spaltung der Ärzteschaft geschaffen.
  • 10. Die Auffassungen zur Wertigkeit der persistierenden Symptome oder „Folgeerscheinungen“ der Erkrankung, die bei einem Teil der Erkrankten auftreten, in medizinischem aber auch sozialmedizinischem Sinne ist strittig.
  • 11. Autoren bzw. Ärzte, welche in ihrer Auffassung eher die Seite der IDSA vertreten, sehen in den „minor symptoms of lyme“ allenfalls eine Indikation für eine symptomatische Therapie. Eine weitere antibiotische Therapie erscheint ihnen nicht sinnvoll.
  • 12. Die andere Gruppe von Ärzten vertritt die Auffassung, dass genannte Folgeerscheinungen nicht etwa vernachlässigbare „minor symptoms of lyme“, sondern deutlich beeinträchtigende chronische Symptome sind. Nach ihrer Erfahrung sprechen viele dieser Patienten auf wiederholte/ prolongierte antibiotische Therapie an.

Ein Vergleich beider Leitlinien erscheint lohnend:

Unterschiedliche Aussagen zum Thema Erythema migrans (EM) sind bemerkenswert:

Bei IDSA findet man dazu:
"The great majority of Lyme patients present with an EM rash.” Nach Meinung der IDSA zeigt die große Mehrheit der an Lyme- Borreliose Erkrankten ein EM.

Bei ILADS findet man dazu:
Ein EM tritt in weniger als der Hälfte der Fälle auf. Studien, die eine größere Häufigkeit des EM postulieren, werden als fragwürdig bezeichnet: da das EM ein Einschlußkriterium für diese Studien darstellte, läge eigentlich ein Zirkelschluß vor. Dadurch werden seronegative , aber auch seropositive Patienten, die jeweils kein EM, aber andere Frühsymptome, wie z. B. Fieber, grippeartige Symptome, Muskel- oder Gelenkschmerz, Parästhesien oder encephalopathische Symptome aufweisen, nicht erfasst, da sie die restriktiven „Center for Desease Control“ –Einschlusskriterien (Erläuterung dazu s. nächster Abschnitt) nicht erfüllen. Des weiteren werden Patienten im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium, deren Diagnose verspätet gestellt wurde, weil beispielsweise kein EM initial auftrat, von solchen Studien ausgeschlossen.
Der Ausschluss dieser Patientengruppen führt dann zu einer falsch hohen Schätzung der Häufigkeit des EM.

Erläuterung zu den „Center for Desease Control“ (CDC)-Kriterien:

An dieser Stelle ist anzumerken, dass das CDC die Diagnose-Kriterien der IDSA für wissenschaftliche Zwecke übernommen hat.
Kliniker, die sich streng an die Diagnosekriterien des US- amerikanischen CDC halten, können aber einem diagnostischen Irrtum erliegen: das CDC selbst bezeichnet diese Diagnosekriterien explizit als für epidemiologische („surveillance“) Zwecke vorgesehen.
Damit sind wissenschaftliche Studien zur Erkrankungshäufigkeit sowie für Verlaufsbeobachtungen gemeint!
Bemerkenswert ist also, daß das CDC bei der eigentlichen klinischen Diagnosefindung diese Kriterien nicht empfiehlt: "not intended to be used in clinical diagnosis." (5), (6)

Unterschiedliche Aussagen zum Thema serologische Testverfahren erscheinen bemerkenswert:

Die IDSA -Leitlinien setzen sich mit der Labordiagnose nicht explizit auseinander.
“Present serological assays for Lyme disease have substantial limitations”
Die IDSA -Leitlinien betreffen in erster Linie die Therapie.

Bei ILADS findet man dazu:
......Serologische Testverfahren sind insbesondere in der Spätphase der Erkrankung nicht verlässlich.
Serologische Tests sollten benutzt werden, um eine „klinische Diagnose“ zu stützen, sollten aber nicht an die Stelle der klinischen Einschätzung des behandelnden Arztes treten.

Unterschiedliche Aussagen zum Thema Chronische Borreliose erscheinen bemerkenswert:

Bei IDSA findet man dazu:

Persistierende (chronische) Borreliose ist sehr selten; bestehen Symptome nach einer Standard- Therapie fort, so wird von einem „Post- lyme- Syndrom“ gesprochen; anhaltende Symptome werden einem postulierten Autoimmunprozess und/oder einer Fibromyalgie, einem chronic- fatigue- Syndrom, psychiatrischen Erkrankungen oder einfach Stress zugeordnet.

Bei ILADS findet man dazu:

Nach Meinung der ILADS deuten persistierende Symptome nach Standardtherapie auf ein Fortbestehen der Infektion hin, insbesondere bei verzögerter Diagnose oder verzögertem Behandlungsbeginn usw.. Auf molekularbiologische Forschungsergebnisse, die eine Erregerpersistenz erklären könnten, wird hingewiesen. Längere Behandlungsregime werden insbesondere bei chronischer, wiederkehrender, und auf den ersten Blick therapierefraktär erscheinender Borreliose empfohlen.

Unterschiedliche Aussagen zum Thema Langzeit-Antibiotika-Behandlung erscheinen bemerkenswert:

Bei IDSA findet man dazu:

IDSA empfiehlt keine antibiotische Langzeit-Therapie, vielmehr wird die Existenz einer chronischen Borreliose in Frage gestellt. Da keine Studienergebnisse zu dem Thema vorliegen, sollte keine Langzeittherapie durchgeführt werden. Es wird angenommen, dass manche Symptome erst Monate nach erfolgter Therapie verschwinden. Deshalb sei in vielen Fällen eine abwartende Haltung gerechtfertigt.

Bei ILADS findet man dazu:

Bei symptomatischen Patienten befürwortet die ILADS den längeren Gebrauch von Antibiotika. Die gängige Praxis, eine Spontanheilung abzuwarten, wird nicht empfohlen. Die Behandlung der chronischen Borreliose muss individuell gestaltet sein, abhängig vom Schweregrad der Erkrankung, vom Ansprechen auf seitherige Behandlungsmaßnahmen usw.

Gemeinsamkeiten der Guidelines

Empfehlungen zur Behandlung des Erythema migrans:

Beide Gesellschaften empfehlen eine möglichst frühzeitige Behandlung über 3 Wochen.
Gegebenfalls ist laut beiden Richtlinien die wiederholte Behandlung der Lyme Arthritis indiziert (IDSA: „...we recommend repeat treatment with another 4-week course of oral antibiotics or with a 2- to 4-week course of ceftriaxone iv“).

Fazit

Die IDSA- Leitlinien entsprechen einem eher starren, systematischen Ansatz in diagnostischer, insbesondere aber in therapeutischer Hinsicht.
Die IDSA-Leitlinien beziehen sich eigentlich auf ein selektiertes Patientengut mit EM als wichtigstem diagnostischen Kriterium.
Demgegenüber findet sich bei den ILADS-Leitlinien große Flexibilität in der Behandlung des individuellen Patienten, um dem variablen Verlauf der Erkrankung Rechnung zu tragen. Es werden hier sowohl frühe als auch späte Krankheitsstadien sowohl bei der Diagnose als auch bei der Therapie berücksichtigt.

Ausblick

Insbesondere für die Spätmanifestationen der Borreliose ist die Datenlage nicht zufriedenstellend.
Zum Verständnis der persistierenden Borreliose sind weitere Forschungsanstrengungen notwendig.

Pforzheim, im September 2006

Literatur

1. Rahn DW, Malawista SE: Lyme disease: recommendations for diagnosis and treatment. Ann Intern Med. 1991 Mar 15;114(6):472-81

2. Burrascano JJ. Lyme desease. In Conn´s Current Therapy. WB Saunders Company, PA, USA 140-143

3. Wormser GP, Nadelman RB, Dattwyler RJ, Dennis DT, Shapiro ED, Steere AC, Rush TJ, Rahn DW, Coyle PK, Persing DH, Fish D, Luft BJ (2000). "Practice guidelines for the treatment of Lyme disease. The Infectious Diseases Society of America" (PDF). Clin Infect Dis 31 ((Suppl 1)): 1-14.

4. Cameron D, Gaito A, Narris N, Bach G, Bellovin S, Bock K, Bock S, Burrascano J, Dickey C, Horowitz R, Phillips S, Meer-Scherrer L, Raxlen B, Sherr V, Smith H, Smith P, Stricker R; ILADS Working Group (2004). "Evidence-based guidelines for the management of Lyme disease". Expert Rev Anti Infect Ther 2 ((1 Suppl)): S1-13.

5. CDC Case Definitions for Infectious Conditions under Public Health Surveillance. Retrieved on 2006-03-15.

6. CDC Testimony before the Connecticut Department of Health and Attorney General's Office. CDC's Lyme Prevention and Control Activities. Retrieved on 2006-03-15.